Modernes und Historisches Ludwigshafen
In der oberrheinischen Tiefebene, am Rhein selbst, liegt eine der wichtigsten wie auch jüngsten Industriestädte von Rheinland-Pfalz - Ludwigshafen. Nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Gemeinde am Bodensee. Sie ging aus der 'Rheinschanze' hervor, einem kleinen Festungswerk auf dem linksrheinischen Ufer, das eine Brücke hinüber zur bereits lange bestehenden Stadt Mannheim absichern sollte. In dessen Schatten hat Ludwigshafen auch lange gestanden; die beiden gegenüberliegenden Städte werden jeweils 'Schwesterstadt' der anderen genannt. Immer war Mannheim dabei die 'große Schwester' zu der Gemeinde, die erst historisches Ludwigshafen gewesen war und noch im 19. Jahrhundert wegen der Industrialisierung und dem Bedarf an Arbeitern ungemein wachsen sollte, jedoch nie über den Kopf Mannheims hinweg. Da die Stadt wesentlich ältere Gemeinden in der Umgebung eingemeindet hat, wäre die Geschichte Ludwigshafens unvollständig ohne die vorangegangene Geschichte der jeweiligen Ortsteile, von denen Oggersheim als Wohnort des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl sicher der bekannteste ist. Die Gründung selbst wird auf 1843 beziffert, nachdem zwanzig Jahre zuvor ein privat betriebener kleiner Hafen an der Stelle der von französischen Truppen zerstörten Rheinschanze entstanden war. Die bayerische Krone als Landesherr der Pfalz suchte alsdann, diese nach ihrem König Ludwig I. benannte neue Siedlung an ihrem Rheinufer zur Konkurrenz für das bestehende Mannheim auf badischer Flußseite auszubauen.
Die Sackgasse eines Industriemolochs wurde vermieden
In der Folgezeit ging alles berauschend schnell: Gemeinderecht 1852, Status einer Stadt schon 1859, und sechs Jahre später kam das Unternehmen von der anderen Rheinseite herüber, das die Geschicke Ludwigshafens bis zum heutigen Tage entscheidend prägen sollte: die Badische Anilin- und Sodafabrik, kurz BASF. Die chemische Fabrik ist heute ein weltweiter Konzern, hier in Ludwigshafen nahm er seinen Ursprung. Ein Glücksfall für die Stadt. Diese Fabrik brauchte viele Arbeitskräfte und zog Neuansiedler an. Werksiedlungen in Oppau, Friesenheim, Edigheim und Hemshof förderten diese Ansiedlung. Dazu war das Werk bekannt für attraktive Konditionen und hohe Bezahlung. Viele Ludwigshafener haben in ihrer Familiengeschichte Beschäftigte der BASF vorzuweisen, die 'Aniliner'. Dort zu arbeiten wurde unter der Stadtbevölkerung auf Jahrzehnte als Prestige-Arbeitsverhältnis angesehen. Das andere Chemiewerk, das mit dem Namen Ludwigshafen verbunden bleiben sollte, ist sogar noch vor der BASF hier ansässig geworden: Giulini (1851). Als dritter ortsbekannter Begriff eines prägenden Chemiewerks ist die Raschig AG (1891) im Stadtteil Süd zu nennen. Die Knoll AG unterdessen ging zunächst an die BASF und verlor nach dem Weiterverkauf an ein US Unternehmen 2001 den Eigennamen für ihr Werk im Stadtgebiet. Ludwigshafen auf Postkarten sollte nach den wilden Zeiten der Industrialisierung dank vorausschauender Maßnahmen nicht auf ewig als ein schornsteinrauchendes Ungetüm erinnert bleiben. Straßenbahnen begannen die auseinanderliegenden Ortsteile, die ehemaligen Dörfer, miteinander zu verknüpfen. Ein großer Bahnhof kam hinzu, wenn der spätere Neubau in den 1960ern sich dann auch als überdimensioniert erweisen sollte. Das Hochstraßensystem mit Anbindung an Autobahnring und hinüber nach Mannheim galt zu dieser Zeit ebenso als supermodern ambitionierte Stadtplanung, das jedoch zuletzt wieder durch Teilabriss zurückgefahren wurde. Im Postkarten-Archiv freilich ist die beschauliche Vorkriegszeit lebendig erhalten geblieben, bevor Ludwigshafen ein wichtiges Ziel für Flächenbombardierung und eine Spielwiese des Wiederaufbaus in der Wirtschaftswunderzeit wurde.
Viele Neubauten und Schulterschluss mit der badischen Seite
Tatsächlich hat diese Konzentration kriegswichtiger Industrie der Stadt auch beschert, mit 124 Luftangriffen zusammen mit der Schwesterstadt eines der am häufigsten angeflogenen Ziele für den Bombenkrieg zu werden. Gerade im Zentrum fällt auf, dass kaum alte Bausubstanz überstanden hat und viele Nachkriegsbauten die Straßenzüge prägen. Als Mahnung an diese Zeit wurde von der zerstörten Lutherkirche im Zentrum einzig der Turm stehengelassen. Der leere Platz des Kirchenschiffs, das noch auf alten Fotos zu sehen ist, die als alte Ansichtskarten von Ludwigshafen kursieren mögen, wurde als Park mit Brunnen umgestaltet, wenn auch spät. Brachflächen am Rand der Innenstadt, Richtung Bahnhof, wurden nach den hastigeren Phasen des Wiederaufbaus großzügig mit ausladenden Kulturbauten besetzt, wie dem Neuen Pfalzbau mit großem Theater, dem Wilhelm-Hack-Museum und der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. An modernen Bauten herrscht daher kein Mangel. Die Stadtverwaltung selbst gönnte sich mit dem Rathauscenter am nördlichen Ende der Innenstadt einen großzügigen Komplex aus Mall mit integriertem Verwaltungshochhaus, Parkhaus, Kaufhaus und Veranstaltungsräumen (1979). Selbst zur und nach der Jahrtausendwende kam es noch zu Ausführung großer Entwürfen, die am Rheinufer alte Hafenanlagen und Industriegebäude mit Einkaufszentren Rhein-Galerie und Walzmühle ersetzen oder umbauten. Davon verspricht man sich neue Impulse für den Einzelhandel im Zentrum. Shopping kann leicht über beide Schwesterstädte ausgedehnt werden, da sie über ein gemeinsames Straßenbahn- und Busnetz verfügen, dessen Fahrzeuge mehrfach über die Brücken geleitet werden. Von einer Fußgängerzone in die andere überzuwechseln ist somit eine Sache von Minuten.
Chemiemetropole und Badeparadies - passt dies zusammen?
Um die Stadt herum liegen weite Felder, die für den Gemüseanbau, Kartoffeln und Zuckerrüben genutzt werden. An Grünflächen in und am Stadtgebiet herrscht kein Mangel, schon weil die ansässige Industrie mitdachte, um das Lebensbedingungen ihrer Arbeiter annehmlich zu gestalten. Ein Teil der Industrie, namentlich das Giulini Werk, wurde an den Stadtrand verlagert (Rheingönheim). Neben dem ziemlich großen Ebertpark (1925) wäre der Maudacher Bruch zu nennen, ein Naturschutzgebiet im Mix aus parkähnlichen Anlagen und naturbelassenem, eher sumpfigem Auwald. Besonders hervorzuheben ist die Anzahl von Badeseen im Stadtgebiet, die allesamt im Sommer per Rad erreichbar sind. Gleich angrenzend zu Ludwigshafen, südöstlich davon bei Altrip, finden sich die größten Seen, die wie der Bruch aus Altrheinarmen nach Begradigungsmaßnahmen am Fluss, im frühen 19. Jahrhundert, hervorgegangen sind. Dieses Naherholungsgebiet ist lokal bekannt als 'Blaue Adria'. Der Stadtteil Niederfeld innerhalb der 'Gartenstadt' folgte einem populären Siedlungsmodell der Zeit zwischen den Kriegen, bestehend aus Einfamilienhäusern mit reichlich großen Grundstücken und Nahversorgungszentrum. Später wurden vom gemeinnützigen Wohnungsbau der Stadt Wohnblocks und Hochhäuser am Rand dieses Siedlungstyps hinzugefügt. Zu diesem Zeitpunkt (1965) erreichte Ludwigshafen ungefähr die Spitze seiner Bevölkerungszahl, die längst nicht mehr so zügig wuchs wie zwischen 1870 und 1900, als sie sich alle zehn Jahre verdoppelte. Heute befindet sich die Bevölkerung seit Jahrzehnten stabil bei ungefähr 170.000 Einwohnern.
Alle Wege führen... nicht nach Rom
Übrigens gab es auch einen Landkreis für die Umgebung von Ludwigshafen, gleichen Namens. Um der Verwechslungen ein Ende zu bereiten, wurde er 2003 in Rhein-Pfalz-Kreis umbenannt. Die letzte Eingemeindung für die kreisfreie Stadt Ludwigshafen war 1974 das Dorf Ruchheim am westlichen Stadtrand. Mit Frankenthal befindet sich eine Kleinstadt gleich nordwestlich vor den Toren der Großstadt, die zwar wesentlich älter als Ludwigshafen ist, aber getrost zum 'Speckgürtel' oder den Schlafvorstädten des Umfeldes gezählt werden kann. Dieses Pendlereinzugsgebiet erstreckt sich bis zur Haardt, dem Rand des Pfälzer Waldes im Westen. Zu diesem Trend zu Schlafvorstädten, wie man sie heute überall um große Städte finden kann, hat die BASF selbst beigetragen, als sie ab 1900 in Limburgerhof, im südlichen Vorland zu Ludwigshafen, Arbeitersiedlungen anlegte. Der Ring an Autobahnen und ausgebauten Bundesstraßen im Halbkreis um die Stadt begünstigt das Pendeln bis zu diesem Tage, die A 650 Richtung Bad Dürkheim wurde dafür um weitere Spuren erweitert. Aber muss man unbedingt pendeln? Sie können auch an einem Ort verbleiben und Pizza bestellen in Ludwigshafen. Und sonntags oder festtags brauchen Sie ebenfalls keine zwanzig Kilometer zu fahren, um Torten in Ludwigshafen bestellen zu gehen. Dafür gibt es schließlich Telefon und Internet.
Eine Neuerfindung über die Medien
Stichwort Medien: Ludwigshafen machte Mitte der Achtziger Jahre Geschichte, als auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofes im neuen Gebäude der AKK das erste Kabelfernsehen der Bundesrepublik im Pilotprojekt betrieben wurde. Dazu gehörten auch Radioprogramm und mit dem 'Offenen Kanal' ein völlig neues Konzept der Mediengestaltung durch Laien, die hier die Ausrüstung und Studioräume kostenlos leihen konnten, um Fernsehbeiträge zu gestalten - und auch für ein Publikum auszustrahlen bzw ins Kabel einzuspeisen. Übrigens besitzt Ludwigshafen seit 2005 ein eigenes 'Filmfestival des deutschen Films', das im Spätsommer auf der Parkinsel abgehalten wird - dies gilt als die zweitgrößte Veranstaltung ihrer Art nach der Berlinale. Preise werden vergeben für Filmkunst, Schauspielkunst und Drehbuch, dazu ein Publikumspreis. Ein berühmter Sohn der Stadt im Bereich der Cinematografie ist William (Wilhelm) Dieterle, 1893 als Arbeiterkind im Hemshof (Stadtteil Nord) geboren und in LU-Mundenheim aufgewachsen; seine Theaterausbildung erhielt er auf der anderen Rheinseite am Nationaltheater Mannheim. Er ging schon 1930 nach Hollywood und blieb als Emigrant dort, bis er Ende der Fünfziger wieder nach Europa zurückkehrte. Seine Geburtsstadt vergibt seit 1993 alle drei Jahre den William-Dieterle-Filmpreis, dies aber unabhängig vom Filmfestival. Unter Fachkundigen der Philosophie wird noch der Name Ernst Bloch ein Glöckchen klingeln lassen, dieser galt lange vor Dieterle oder Helmut Kohl als 'größter Sohn der Stadt', der für das Marketing Ludwigshafens tauglich schien.
Auf ihre Weise ist die Stadt einzigartig
Es ist faszinierend, wie historische Ansichten die Etappen der Entwicklung einer Großstadt aufzeigen können, ein modernes und historisches Ludwigshafen nachvollziehen lassen, welches wie wenige Städte in Deutschland eine geradezu amerikanische Entwicklung seit der Industrialisierung gesehen hat. Wo auch wieder umgedacht werden musste, gerade was Wohnbedingungen für Fabrikarbeiter, später Autoverkehr und Einzelhandel und kulturelle Anreize anging. In gerade mal 170 Jahren hat Ludwigshafen ohne den Ballast altertümlicher Strukturen früherer Jahrhunderte eine radikale Entwicklung hingelegt, und dabei dem Puls der Zeit folgen müssen, inklusive der schweren Zerstörung und eines nicht durchweg ästhetischen Wiederaufbaus während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Gerade die letzten Jahrzehnte legten sehr viel Gewicht auf künstlerische Impulse im Stadtbild.